25.000 Tote durch Polymedikation: Bundeseinheitlicher Medikationsplan kann Menschenleben retten

Bis zu 25.000 Menschen sterben nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände jährlich an Polymedikation (Stand Juni 2019). Betroffen sind vor allem Senioren über 65 Jahren. Einer der Gründe: der bundesweit einheitliche Medikationsplan – eigentlich verbindlich seit 2017 – wird kaum angewendet. (kb) Heinrich P. (Name geändert) ist 68 Jahre alt und eingeschriebener Patient im Gesundheitskiosk.

Seit wenigen Wochen ist er dabei, kurz vor der Corona-Krise hat er sein Erstgespräch. Seinen „Medikationsplan“ bringt er mit, eine unstrukturierte Liste von Medikamenten, die er täglich einnimmt.

Diese Liste, einschließlich der Dosierungen, hat er selber geschrieben, einfach mal zusammengezählt, wie viele Medikamente er einnimmt. Es sind täglich sechs. „Dann erzählte er, dass er morgens regelmäßig an Schwindelgefühlen leidet“, erzählt Andrea Husmann, Leiterin des Gesundheitskiosk in Billstedt. Ihre Vermutung: Verantwortlich dafür ist ein doppelt verschriebener Blutdrucksenker.

Eine viel zu hohe Dosis. Eine Situation, die nicht untypisch ist. Mehrfach- oder auch Polymedikation ist unter Senioren weit verbreitet und damit auch das Risiko, durch unerwünschtes Zusammenwirkungen verschiedener Medikamente Patienten einem hohen Risiko auszusetzen.

Rund 42 Prozent der über 65jährigen nehmen fünf oder mehr rezeptpflflichtige Arzneistoffffe, nicht berücksichtigt sind dabei rezeptfreie Medikamente. „Da hat denn der eine Arzt ein Medikament verschrieben, von dem ein anderer gar nichts wusste“, sagt Kardiologe Dr. Jens Stadtmüller. „Ein noch immer üblicher Vorgang.“.

Dabei hat jeder Patient, der drei Medikamente oder mehr einnimmt, seit 2016 das Recht auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan, seit April 2017 ist er sogar Pflflicht.

Bis zu 25.000 Tote jährlich – Ursachen für die hohe Sterblichkeitsrate sind laut DEGAM- Leitlinie (hausärztliche Leitlinie Multimedikation) unter anderem unzureichende Kommunikation zwischen Therapeuten, fehlender Medikationsplan sowie unkritische Übernahme der Therapie aus dem Krankenhaus. „Grade hier liegt ein großes Problem“, sagt Jens Stadtmüller. „Wenn Patienten mit dem bundesweiten Medikationsplan eingeliefert und mit einem ebensolchen wieder entlassen würden, täte das uns niedergelassen Ärzte die Arbeit sehr erleichtern.“

Dann bräuchte nur der QR-Code eingescannt und der Plan ergänzt werden, so der Kardiologe. Aber auch bei der Erstellung durch niedergelassene Ärzte sei noch Luft nach oben.

Hier sieht Stadtmüller große Möglichkeiten in einer engeren Kooperation mit dem Gesundheitskiosk: „Medikationspläne könnten vom Gesundheitskiosk erstellt und von uns Ärzten unterschrieben werden.

Das würde uns Ärzte sehr entlasten und wir würden von dem Feedback profifitieren.“

Die Voraussetzungen hierfür sind vorhanden, sagt auch Andrea Husmann: „Die meisten Menschen, die zu uns kommen, nehmen ihre Medikamente sehr unkontrolliert ein. Wir sind soweit, dass wir für die Ärzte die Medikamente registrieren können.“

In den Praxen müsste nur noch der QR-Code eingescannt werden. „Dann“, so Husmann, „hätten die Ärzte alle Medikamente sofort in ihrer PVS.“

Foto oben: Kardiologe Dr. Jens Stadtmüller vermisst Medikationspläne bei seinen Patienten

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